Mittwoch, 30. März 2011

Dritter Auszug (Fiktion)

Vielleicht! Vielleicht wäre es der Menschheit insgesamt besser ergangen, hätte die Evolution dafür gesorgt, dass mehr Zwillinge geboren werden. Müßig darüber nachzudenken, jawohl, aber da wir uns diese Muße erlauben, wollen wir es doch tun. Ist der Mensch, gottvergessenes Geschöpf in einem mystischen Gebilde von Zeit und Raum, denn nicht sein Leben lang einsam, inmitten einer unüberschaubaren, nicht zu ermessenden Schar von Artgenossen? Stünde ihm nicht gut zu Gesicht, wenigstens in den paar Monaten, die er im Mutterleib verbringt, einen bei sich zu haben, einen außer seiner Mutter, die er noch nicht kennt, von der er noch nicht wissen kann, ob sie ihn liebt, lieben wird? Raus muss er, wenn seine Zeit gekommen ist, lebendig oder tot, der Natur ist das einerlei, das eine Exemplar macht ihr kein Kopfweh, die allermeisten überleben die Geburt, der Fortbestand ist gesichert, was immer das auch bedeutet. Und was mag dort draußen auf das Menschenbündel noch alles zukommen? Auch das weiß es nicht, kann es nicht wissen. Wäre es also nicht besser, jemanden bei sich zu haben, der diesen ersten Gang mitgeht? Vielleicht! Doch das ist selten der Fall.

Erster Gedanke

Eine Fiktion?

      Ist das nun ein Vor- oder Nachteil? Oder keines von beiden, also irgendwas dazwischen? Entscheidend ist für die Beantwortung dieser Frage aber auch und insbesondere, wer sich diese stellt. Des einen Vorteil ist doch, geben wir unumwunden zu, dass es zumindest denkbar ist, des anderen Nachteil, oder nicht? Was könnte aber überhaupt zwischen Vorteil und Nachteil liegen? Der Zufall? Etwas nichts Bedeutendes? Oder etwas gerade alles Bedeutende?

      Schwierig, ja, nicht einfach zu beantworten.

      Nehme ich die Philosophie zu Hilfe, zumindest schadet sie nicht. Definieren wir diese als Liebe zur Weisheit und stelle ich also in Rechnung, dass alles, in seiner Gänze oder in seinen Teilen, was ich in der Folge annehme, unrichtig ist, ja, unmöglich, und dass es mir trotzdem zu richtigen Erkenntnissen verhelfen kann, dann würde aus dieser Fiktion eine sinnvolle, nützliche Aufgabe, dann sollte es sich doch lohnen, den Bleistift zu spitzen und ihn übers Papier tanzen zu lassen. Zu welcher Melodie wird sich dann noch zeigen. (Bleistift und Papier gibt’s schon lange nicht mehr, aber ich bin altmodisch und so bespreche ich meinen alten, verstaubten, ans Tageslicht gezerrten Computer und bilde es mir halt ein.)

     Die Informationen, die dem Gedankenspiel zugrunde liegen, sind alt, sehr alt und mir durch Zufall in die Hände geraten. Zufall? Schon wieder dieses Wort. Kein schlechtes Omen.

      Also abgemacht: eine Fiktion!

Zweiter Gedanke und Einführung in eine Sage

      Früher, vor langer, langer Zeit, als es Märchen gab, die mit „Es war einmal“ begannen und mit „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch glücklich und zufrieden“ endeten, da hatten die Menschen etwas, was den heutigen doch gänzlich abgeht: Glaube und Hoffnung an und auf eine bessere Zukunft.

      Wir tun uns schwer damit, das nachzuvollziehen. Leider wissen wir, so hat man es uns gelehrt, dass wir am Ende einer Entwicklung stehen, die uns nicht mehr zu bieten hat als den Rest der Zeit, die sie noch braucht, um an ihr Ende zu gelangen. Danach kommt nichts mehr.

      Diese Aussichtslosigkeit tragen wir in uns mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie wir uns einen dicken Mantel anziehen, der uns vor Kälte schützen soll. Sie ist unsere zweite Haut geworden und nur die erste vermag der Mantel zu wärmen, diese zweite aber bleibt immer kalt. Es ist nun mal nicht ohne Aussicht zu leben! Welchen Zweck hat der heute gelebte Tag, wenn durch ihn der auf ihn folgende nicht im Geringsten tangiert wird?

      Man hat uns die Seele abgesprochen! Der Mensch als reines Funktionsschema etabliert, einer Maschine gleich, nein, weniger, eine Maschine wird gewartet, repariert, um ihn aber kümmert sich niemand. Was ist, wenn er nicht mehr funktioniert? Er wird abgesondert, ausgemustert, fliegt auf den Schrott. Gut, er hat die Freiheit erlangt, niemand schreibt ihm mehr vor, was zu tun, was zu unterlassen ist, es gibt keine Gesetze mehr. Aber ist er deswegen glücklich oder, wenn schon nicht glücklich, so doch wenigstens zufriedener? Hat man ihn, indem man ihn sich selbst überlassen hat, nicht seinem Schicksal preisgegeben, dem Schicksal, dass nichts mehr vor ihm liegt?

      Oh, es gab eine Zeit, da die Menschen an die Seele glaubten, versuchten, sich ihrer zu bemächtigen, sie zu analysieren, sie zu verstehen! Diese Urahnen wussten noch, was Leben ausmacht! Glücklich? Nein, wahrscheinlich nicht, auch sie waren wohl nicht glücklich, denn es waren doch auch nur Menschen. Aber vielleicht waren sie doch glücklicher, als wir es heutzutage sind. Denn vor ihnen lag noch so viel, ihr Weg wurde noch durch ihre Unwissenheit, ihre Dummheit, ihr Versagen verbaut, sie hatten noch so viele Steine wegzuräumen, sie hatten noch eine Aufgabe. Wenn sie abends ins Bett gingen, dachten sie wohl: Ja, morgen, weiter, einen Meter mehr.

      Und wir? Die keine Steine mehr zu bewegen haben, deren Weg frei ist, glatt, anspruchslos, aussichtslos?

      Wir werden den Weg zu Ende gehen. Wenn wir doch nur wüssten, warum!

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