Donnerstag, 20. Januar 2011

Ein Spiel beginnt

Was aber ist denn nun Literatur? Nicht im Sinne einer Definition, sondern vielmehr im Sinne eines Lebensausdruckes, einer emotionalen Zugänglichkeit.

Diese Frage muss (besser: darf) jeder (besser: derjenige, den sie interessiert) für sich selber beantworten: aus dem Stegreif oder unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten, aus dem Bauch heraus oder mit Hirnschmalz, leichtfertig oder grüblerisch. Am Ende seiner wie auch immer gearteten Überlegungen wird er auf eines stoßen: ein Gefühl, sein Gefühl.

Und so wollen wir festhalten: wo nach erfolgter Lektüre nichts gefühlt wird, kann keine Literatur im Spiel gewesen sein! Denn ein Spiel ist es, mehr nicht – aber auch (und das wiegt ungleich schwerer) nicht weniger. Noch dazu eines ohne Regeln. Und zählt somit zu der Sorte von Spielen, mit der wir uns (seien wir ehrlich) am liebsten beschäftigen.

Literatur „nur“ ein Spiel? – Ja, natürlich. – Aber was für eines!

1 Kommentar:

  1. .. also spielen wir einmal! Man wähle irgendeine der Strophen. Natürlich kann man auch ganz brav am Anfang beginnen. Oder am Ende. Oder mittendrin. Es ist eine Art Pater-Noster-Fahrt. Dunkel - hell - dunkel. Und man durchlebt... pardon, durchfährt, jede Etage. Und beruhigender Weise heißt es noch immer ganz allgemein AUFzug - und nicht ABzug! Schönes Spiel!

    Meine Uhr

    Ich kneife beide Augen zu
    und denk’: oh schwarze Welt,
    lass’ mich in Ruh’,
    festgetackert lieg’ ich hier.
    Es ist mal gerade kurz vor vier.

    Ein Mühlsteintraum um mein Genick,
    die Panik ist schon wach,
    ein kurzer Blick.
    Die Zeiger kleben an der Nacht
    und grinsen lautlos: sechs Uhr acht.

    Die Sonne scheint auf Haus und Dach,
    mein kleiner Freund und ich,
    wir werden wach.
    Der and’re Zeiger sagt: halb neun!
    So viele Gründe, sich zu freu’n...

    Das Leben könnt’ nicht schöner sein.
    Ich wachse und erblüh’,
    die Welt ist mein!
    Ich werde Pläne pflanzen geh’n.
    Ein Kinderspiel um zehn nach zehn.

    Ich ernte eine Möglichkeit
    und schenke ihr mal so
    die Ewigkeit.
    Doch langsam wird das Blut zu Blei.
    Noch eine Stunde - elf Uhr drei.

    Dann dieser Punkt, so fürchterlich...
    die Auflösung der Welt,
    des eig’nen Ich.
    Ein endlos stürzend’, stummer Schrei
    in schwarze Tiefe - zwölf Uhr zwei.

    Ich grabe mich in Gräben ein,
    aus Selbstmitleid, aus Nichts
    und tiefster Pein.
    Dieses Leben ist nicht meins.
    Ich lebe nicht um sechs nach eins.

    Ich falle mit dem kleinen Zeiger,
    bin Nebelpest und Last
    und Todesgeiger.
    Wenn and’re Kuchen essen geh’n,
    dann hung’re ich um fünf Uhr zehn.

    Doch alle Tage gleichen sich.
    Ich bin die Uhr, die Zeit,
    ich kenne mich.
    Ein paar Minuten, dann erwächst
    ein neues Ich, um Schlag Uhr sechs.

    Dann gibt es sie, wie gestern schon,
    berauschend trügerisch
    und nur Vision...
    es könne immer aufwärts geh’n.
    Die Seele träumt schon neun Uhr zehn.

    Von zeitlos wacher Euphorie
    die das, was gestern war
    heute verzieh’.
    Ein alter Bettler, dem ich helf’,
    mit einer Münze - fünf nach elf.

    Und irgendwann ist es schon spät,
    die müde Phantasie,
    die Runden dreht,
    und über meine Träume lacht,
    um kurz nach Mitternacht.

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