Montag, 28. Februar 2011

Literatur ist eine Hure

Mit großer Sorgfalt brachte sie ihr Strumpfband an, bemalte sich die Lippen, und auch die Stöckelschuhe standen schon bereit, ungeduldig den ersten Trippelschritten harrend. Ob sich auch heute unter den Freiern manierliche befinden sollten? Das würde ihr die Sache schon leichter machen. Aber wie dem auch sei: ihrem Grundsatz würde sie treu bleiben: sie ließ sich nicht auf den Mund küssen, nicht freiwillig, nie! Das hatte ihr schon die eine oder andere Ohrfeige eingetragen, aber davon starb man schließlich nicht. – Sie betrachtet sich im Spiegel. Aufpassen, nicht zu dick auftragen, nur ein zartes Rouge, das genügt. Die Wenigsten sahen ihr ohnehin ins Gesicht, und auch die eher oberflächlich und nur kurz. Und wenn schon. Sie ist ja ohnehin nicht so, wie Andere meinen, dass sie es wäre. – So, jetzt sieht sie schon ganz leidlich aus, richtig passabel, eine Augenweide. Ein Blick auf die Uhr. Ja, Zeit ist. Dann mal los. Schon in ein paar Stunden, wenn der Morgen graut, wird sie wieder zu Hause sein, sich in ihr Bettchen legen, alleine, und schlafen wird sie, und träumen wird sie, und erwachen wird sie, mit langsamem Augenaufschlag, und der neue Tag wird schon sehnsüchtig auf sie gewartet haben.

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